Wer mich etwas kennt, der hat sicher mitbekommen, dass ich manchmal den Drang habe, mir etwas abzuverlangen, und dass ich gerne (in verschiedenen Belangen) hoch hinaus will. Es gehört ein wenig zu meiner Philosophie, dass der Genuss keinen Wert hat, wenn man ihn sich nicht erkämpft, und gerade auch darum ergriff ich die Chance, als ich die Möglichkeit bekam, den Cotopaxi zu besteigen, obwohl ich alles andere als überzeugt war, dass ich der Herausforderung gewachsen war.
(Vorabinfo: Cotopaxi ist mit 5897 Metern der zweithöchste Vulkan Ecuadors (der höchste ist der Chimborazo mit 63irgendwas) und für seine fast symmetrische Form bekannt. Den Cotopaxi zu besteigen, ist keine „technische“ Route und ohne spezielle Kletterkenntnisse möglich; allerdings ist Gletscherausrüstung (Eispickel und Crampons (Steigeisen)) für die Besteigung notwendig und ein Bergführer natürlich unumgänglich. Herausforderungen sind die Kondition und – natürlich – die Höhe. Die Erfolgsrate ist gemäss irgendwelchen Statistiken 70% für Leute mit Eis-Erfahrung und 30-50% für Leute ohne Eis-Erfahrung.)
Am Mittwoch machte ich mich frühmorgens auf den Weg nach Latacunga, um dort meinen Bergführer und meinen Kletterpartner zu treffen und noch auf eine Akklimatisationswanderung zu gehen, bevor wir am Donnerstag Richtung Cotopaxi fahren würden.
NOOOOT… stattdessen verbrachte ich den Morgen damit, mit den sympathischen Herren von despegar.com zu telefonieren (was ich schon am Abend davor gemacht hatte) und vor einer Bank Schlange zu stehen. Gegen Mittag machte ich mich dann endlich auf den Weg nach Latacunga (etwas weniger als 2 Stunden Busfahrt von Quito) und erreichte eben noch so das Busterminal Quito, ehe der Himmel seine Schleusen öffnete und biblische Fluten über Ecuador hereinbrachen. In Latacunga kämpfte ich mich mit Schirm, meinem Riesenrucksack und unterdessen schon 2 Handgepäckstücken dann zum Taxi und zum Hostel, was sehr unterhaltsam ausgesehen haben muss; bis wir alles schlussendlich fertig organisiert hatten, war es dann schon 4 Uhr. (In der Zwischenzeit konnte ich noch etwas die Stadt erkunden; Latacunga ist eine kleine, sympathische typisch ecuadorianische Stadt, die mich positiv überraschte… Leider keine Bilder, meine Kamera war nicht dabei.) Jedenfalls ging ich natürlich jetzt nicht mehr in die Höhe, und damit bestand meine ganze Akklimatisation daraus, dass ich einige Tage zuvor kurz auf 43irgendwas herumspaziert war. Mein Kletterpartner Matt kam natürlich direkt mit eigenen Crampons und Kletterschuhen daher und hatte jede Menge Erfahrung im Gletscherklettern. Hm. Ich bin da etwas weniger bewandert… Ich war aber dann Egoist genug, um mitzugehen, und zu riskieren, dass meine mittelmässige Vorbereitung ihm den Aufstieg kosten könnte… (Nicht dass seine Akklimatisation viel besser gewesen wäre.)
Am nächsten Tag ging es dann mit Crampons, Eispickel, Schlafsack, einer Menge anderem Zeugs und unserem Bergführer Julien, sowie einem zweiten Team mit Bergführer und zwei Belgiern, wie geplant Richtung Cotopaxi. Julien ist „the man“. Er war schon 703 Mal auf dem Cotopaxi und trainiert für den Everest; ich habe keinen Zweifel, dass er das mal schaffen wird (wenn das nötige Geld zusammenkommt, was hier eher das Problem zu sein scheint.) Nebenbei gelernt: dass ein Bergführer hier in einer Woche etwa soviel verdient wie ein Buchhalter in einem Monat. Beim Parkplatz vor dem Refugio merkt Julien dann, dass er seinen Harnisch im Berggasthaus eine halbe Stunde zurück hat liegen lassen. OK, sounds legit… während er zurückfährt, gehen wir jedenfalls schon einmal zum Refugio hoch (von 4600 nach 4800 m.ü.M.), was mit dem ganzen Gepäck und bei der Höhe gar nicht mal so unanstrengend ist. Von AMS-Symptomen bleiben wir aber derzeit verschont, auch wenn Matt keinen so guten Eindruck macht. Im Refugio verbringen wir den Nachmittag damit, jede Menge Tee zu trinken und „Arschlöchle“ nach belgischen Regeln zu spielen (Zur Klarstellung an die in Schweizer Kultur Unbewanderten: das ist nichts Perverses, sondern ein Kartenspiel 🙂 ) Am 5 Uhr sollten wir dann unsere Crampons anprobieren, wir spielten noch bis 5:20 fertig, gingen dann raus, und um 5:40 kam Julien und verpasste uns einen Anschiss, wir seien jetzt viel zu spät und wir müssten jetzt halt ganz ohne Training gehen. OK. Zu diesem Zeitpunkt war ich schon fester Überzeugung, ich würde beim Gletscher umkehren… (Viele Gruppen gehen nachmittags zum Gletscher hoch, um dort etwas mit den Eisinstrumenten zu trainieren. Julien hält das für unnötige Energieverschwendung.)
Dann gab es um 6 Uhr Nachtessen und wir durften noch ein paar Stunden notwendigen Schlaf vorholen, bevor dann um 11pm Tag- bzw. Nachtwache war. Wer mich kennt, den wird es nicht erstaunen, dass ich von den viereinhalb Stunden etwa zwei Stunden wachlag und maximal etwa 2 Stunden schlief. Nach Nachtwache und „Morgen“essen ging es dann los. Zuerst „normal zu Fuss“ 1.5h bis zum Gletscher, dann tackerten wir uns unsere Crampons an, packten die Eispickel aus und seilten uns an, um auf dem Gletscher weiterzugehen.
Im Folgenden meine Gedanken kurz skizziert:
„Boah, das geht steil bergauf. Ich kehre eh beim Gletscher wieder um.“
„der Gletscher rutscht dir mindestens nicht so unter den Füssen weg wie der Scheiss-Vulkansand…“
„Warum genau tue ich mir das hier an?“
„Ist ja voll easy. Wir sind ja schon fast da.“
„verga verga verga verga verga“
„Hier gehts ja ganz gut…“
„Ich bin auf 5×00 Metern und kann immer noch atmen. Yay.“
„FUFUFUFUFUFUFU“
„blaaaaaaarrrrgghhhh“
Immer wieder mal zwischendrin: „Wie komme ich da je wieder runter?“
(Aber mein Vater hat mir ja als erfahrener Kletterer bibracht: abe chunsch immer :P)
und ab und zu, wenn wir auf einem engen Trampelpfädchen gingen und links an mir der Gletscher 100 Meter in die Tiefe ging: „ich werde hier sterben“
und das ganze mehr oder weniger alternierend. Irgendwann nach etwa 4.5 Stunden sagte dann Julien: „now comes the difficult part“ und welch Überraschung, er hatte Recht; ab dort war es mehr oder weniger ein permanenter Steilaufstieg… Wenn man jeweils meinte, die Arschlochstelle jetzt endlich überwunden zu haben, ging man um die nächste Ecke und die nächste Steigung wartete mit einem hämischen Grinsen. Nicht ohne ein klein wenig Stolz muss ich sagen, dass ich gegen Ende einiges besser dran war als Matt, der sehr sehr stark zu kämpfen hatte (was nicht heissen soll, dass ich auch nur im Geringsten gut aussah gegen Ende.) Aber gegen Ende nährte sich langsam die Gewissheit, dass wir es schaffen würden, wir waren zwar beide ziemlich fertig, aber die berüchtigte Höhenkrankheit hatte uns verschont und würde auf den letzten Metern wohl auch nicht mehr kommen.
Mit unseren immer häufigeren Pausen dauerte die letzte Stunde schliesslich etwa 1.5 Stunden, und wir erreichten die Spitze (5897 m.ü.M.) etwa um 5:40, so dass wir gerade noch das Ende des Sonnenaufgangs mitbekamen. Wow. Echt umwerfend. Ich spare mir Kommentare und poste einige Bilder. (Ich sollte noch einige zusätzliche Bilder von Julien und Matt erhalten, die ich euch auch nicht ersparen werde.)
Nachdem wir uns alle gegenseitig bejubelt und cool gefunden hatten, machten wir uns dann langsam auf den Weg zurück. Doch wer meint, der schwierige Teil sei jetzt überstanden, irrt sich; das Krasseste kam erst noch. Beim Aufstieg war ich am Seil in der einfachen mittleren Position und Matt hinten; Julien meinte, da ich jetzt weniger müde sei, sei es am Besten, wenn ich beim Abstieg vorne sei, da ich dann bessere Kontrolle und Balance hätte. (Ich? Kontrolle? Balance? Hahahaha!) Meine Bedenken aufgrund mangelnder Expertise halfen wenig, und so ging ich voraus und versuchte so einigermassen den Weg zu suchen…
Bis zu einem Abschnitt nach etwa 20 Minuten. Beim Aufstieg hatte ich schon 2 Mal gemeint, ich müsse sterben, aber die Stelle runterzugehen hat mich echt den allerletzten Nerv gekostet. Das ganze sah etwa so aus, dass ich an der Wand etwa 10 verschiedene Methoden ausprobierte, um einen Schritt weiter zu kommen, und bei jedem Schritt Julien in lautes Fluchen ausbrach und entweder „baja baja! no sube!“, „verga!“, „noooo!! con el FRENTE de los crampones!!! with the FRONT of your crampons! asi te vas a caer!!!“ oder irgendwas mit „puta“ rief. Irgendwie hatten wir die 5 Meter nach 25 Minuten und viel Adrenalin dann auch geschafft… auch Matt musste eingestehen, dass er so etwas bisher noch nie gemacht hatte.
Alle folgenden Stellen sahen dann von oben nach unten tatsächlich nicht mehr so schlimm aus wie umgekehrt 🙂 und wir kamen alle heil unten an (abgesehen davon, dass ich wohl wie ein erschossener Hund aussah; und auf dem Rückweg brutales Kopfweh bekam, obwohl ich beim Aufstieg so gut wie gar keine Probleme gehabt hatte – vermutlich durch Dehydrierung bedingt, da ich zwar genug getrunken, aber vermutlich alles direkt wieder herausgeschwitzt hatte; oder auch durch den Druckunterschied aufgrund des schnellen Abstiegs oder es war ein kleiner Sonnenstich…) Am Fuss des Refugios begegneten wir tatsächlich nochmals Sabrina und ihrem Freund, die auf Tagesausflug hier waren. Ist schon cool, wenn man sagen kann: Hoi! ich war gerade auf 5897m; und was macht ihr so? 🙂
Auf dem Rückweg nach Latacunga und nach 1.5 Liter Wasser verflog dann mein Kopfweh langsam und machte dem Fieber Platz, sodass ich auf dem ganzen Rückweg im Auto wach war, während die anderen friedlich den verdienten Siegerschlaf schliefen; in Latacunga nahm ich dann ein Neogrippal und ratzte auf dem Sofa weg, bevor ich gegen Abend wieder den Bus nach Quito nahm – und dort auch nicht mehr besonders viel machte, ausser Komplimente von anderen Hostelbesuchern zu kassieren und relativ bald schlafen zu gehen.
Im Grossen und Ganzen ein voller Erfolg, ich finde mich gerade ziemlich cool. Die Aktion gehört sicher mit zum Krassesten, was ich je gemacht habe… Ich habe erfolgreich gezeigt, wie man mit mieser Vorbereitung, kurzfristiger Organisation und ohne Erfahrung einen fast-6000er besteigen kann. Ein grosser Dank geht hierbei auch an meine Eltern für ihre Empfehlung von Gly-Coramin, das mich den halben Aufstieg lang auf den Beinen gehalten hat. Ohne das hätte ich es vermutlich nicht bis nach oben geschafft… Aber der nächste Vulkan wird vermutlich noch ein Momentchen auf mich warten dürfen, fürs Erste widme ich mich etwas weniger herausfordernden Tätigkeiten 🙂